3.1.1 Moderieren von Bildungsprozessen
Wenn Bildung als sozialer Prozess organisiert ist, der sich des Ansatzes der Co-Konstruktion bedient und nach Sinnkonstruktion strebt, kommt der Gestaltung der Interaktionen zwischen pädagogischer Fachkraft und Kind sowie zwischen den Kindern eine zentrale Bedeutung zu.
Gelingende Förderung in der frühen Kindheit setzt insofern bei den pädagogischen Fachkräften ein differenziertes Verständnis der komplexen interaktiven Prozesse sowie einen kompetenten Umgang mit diesen voraus.
Interaktionen stützen sich zum einen auf verbal zielgerichtete Kommunikationsformen, wie Erklären, Beschreiben, Fragen, Erinnern und Erzählen. Sie stellen Teile des zielgerichteten Handelns dar und sind insofern auch die Grundlage für nonverbale Kommunikationsformen und Interventionsmethoden. Diese drücken sich z.B. in der zwischenmenschlichen Atmosphäre, in der Beziehungskultur sowie im emotionalen Zugang der Fachkraft zu sich selbst und zum Kind aus. So kann aufmerksames Zuhören dazu beitragen, eine Atmosphäre des Respekts für die Gedanken und Bemühungen der Kinder zu erzeugen, und das kann den pädagogischen Fachkräften dabei helfen, genauer zu verstehen, was Kinder denken, fühlen und lernen. Die Unscheinbarkeit vieler Kommunikationsformen und Interventionsmethoden beruht häufig auf ihrer Selbstverständlichkeit. Diese Normalitätserfahrungen, die den pädagogischen Alltag durchdringen, verhindern jedoch vielfach, dass ihre positiven oder negativen Wirkungen auf die kindliche Entwicklung ausreichend reflektiert werden. Bei der Einschätzung der Wirkung unscheinbarer Kommunikations- und Interventionsformen auf das Kind können folgende Fragen hilfreich sein: »Reagieren die Kinder positiv auf das Angebot, fühlen sie sich wohl?«, »Erlebe ich sie engagiert, langweilen sie sich, nehmen sie am Geschehen aktiv teil?«. Die sorgfältige Beobachtung der Kinder sowie lernmethodisches Wissen und das Einfühlen in die Situation des Kindes helfen bei der Bewertung der eigenen Kommunikationsformen und pädagogischen Handlungsstrategien. Die sensible Beobachtung des Kindes, die Reflexion und der Austausch im Team geben Aufschluss über den Erfolg der Bildungsformen und der Didaktik.
Eine gute Förderung setzt jedoch nicht nur ausreichendes fachliches Wissen, pädagogische Sensibilität, Beziehungs- und Kommunikationsfähigkeit voraus, sondern verlangt auch nach einer gut überlegten räumlichen, zeitlichen und materiellen Planung der pädagogischen Arbeit. Um Interaktionen fachlich begründet und nicht nur erfahrungsgeleitet zu gestalten, ist die Anwendung hierfür geeigneter allgemeiner und spezifischpädagogischer Ansätze erforderlich. Diese helfen, die vielfältigen Interaktionen in der Gruppe so zu gestalten, dass Bildungsprozesse bestmöglich organisiert werden und die Kinder davon profitieren können. Zu diesen Ansätzen zählen insbesondere: Demonstrieren - Beschreiben - Ermutigen, loben, helfen - Erleichtern - Feedback geben - Gruppen bilden - Modellverhalten - Zuhören - Fragen u. a. m. Zu den spezifisch-pädagogischen Ansätzen zählen Co-Konstruktion - Schaffung einer lernenden Gemeinschaft - Reflexion sozialer Phänomene - Philosophieren mit Kindern – Verstärkung - Problemlösen u.a.m.
Diese Interventionsansätze bedingen sich gegenseitig und sind nicht als isolierte Techniken zu verstehen. Sie bieten die Möglichkeit, die Alltagsaktivitäten lernreich zu gestalten und Lernprozesse fachlich begründend zu organisieren. Sie sind unverzichtbar, wenn die pädagogischen Fachkräfte ihr eigenes Handlungsmodell reflektieren. Sie sichern jedenfalls eine höhere Bildungsqualität und tragen zur Stärkung sowohl individueller Lern- und Entwicklungsbiographien als auch zur Effizienz des Bildungssystems insgesamt bei. Eine sorgfältige und kritische Reflexion der pädagogischen Handlungspraxis und ihrer didaktischen Instrumente trägt auf unterschiedliche Weise zur Verbesserung der Bildungsqualität bei. Kinder verschiedenen Geschlechts, unterschiedlicher ethnischer Gruppen und sozialer Herkunft können äußerst differenzierte Lernergebnisse erzielen. Diese Ansätze bieten den pädagogischen Fachkräften eine Grundlage, um die Ausgangssituation des einzelnen Kindes differenziert zu betrachten und Bildungsprozesse differenziert und individualisiert zu gestalten.
3.1.2 Pädagogisches Handeln und reflektierende Förderung
Die konstruktive Bewältigung der komplexen Anforderungen stellt für die pädagogische Fachkraft einen persönlich herausfordernden Balanceakt dar, für den es keine allgemein gültigen Rezepte gibt, der aber durch eine solide fachliche Kompetenz und ein hohes Maß an Selbststeuerung und Eigenverantwortung abgesichert ist und insofern die konstruktive Lösung berufsbezogener Konflikte ermöglicht.
Da sie weniger auf Leistungserfolg und Zielerreichung und mehr auf die Dynamik der Lernwege und die Ganzheitlichkeit der Bildungsprozesse ausgerichtet sind, können auch folgende Überlegungen Bewältigungshilfen bieten:
- Bildung ist ein sozialer Prozess, nicht ein isolierbares, auf einen Ort fixiertes Geschehen.
- Das gesamte Umfeld des Kindes nimmt auf seine Entwicklung Einfluss. Alle Beteiligten tragen Verantwortung.
Im Bildungsprozess gilt es, den Beitrag aller Personen, mit denen die Kinder leben und lernen, anzuerkennen und die Zusammenarbeit zwischen diesen Personen zu vernetzen und vertiefen. Der Bildungsauftrag orientiert sich für alle Beteiligten an folgenden Grundsätzen:
- Alle Kinder verdienen eine bestmögliche Förderung.
- Bildung und Lernförderung sind höchst komplexe und dynamische Prozesse.
- Förderung beinhaltet eine bewusste Gestaltung der Lernsituationen und einen gezielten Einsatz von Bildungsformen.
- Förderung gründet auf Werten.
- Der Lernerfolg ist kontextuell gebunden. Deshalb gibt es nicht eine einzige, bestimmbare Reaktionsweise, um das Lernen zu optimieren.
- Sorgfältige und kritische Reflexion der eigenen Haltung und des pädagogischen Handelns trägt zur Qualität des Bildungsprozesses bei. Die Beziehungsfähigkeit, die Wahl von individuell bedeutsamen Momenten und eine pädagogisch reichhaltige Didaktik sind die grundlegenden Aspekte bei der Begleitung von Kindern.
- Der Einsatz von Methoden nimmt auf die gesetzten Bildungsziele Bezug und achtet auf die Bedeutsamkeit für alle Kinder. Das heißt, Bildungsformen sind entwicklungsbezogen und kulturell angemessen auf die unterschiedlichen Lernstile von Jungen und Mädchen und auf die besonderen Bedürfnisse abgestimmt.
- Bildungsformen und Lernmethoden wirken diskriminierenden Wirklichkeiten entgegen.
- Die Bezugnahme auf Erkenntnisse der Forschung und auf internationale Entwicklungen trägt zur Verbesserung der Bildung bei. Die pädagogischen Fachkräfte setzen sich mit den Ergebnissen der Forschung und den Entwicklungen der Bildungswissenschaften und der Pädagogik in Fort- und Weiterbildung sowie im Eigenstudium auseinander.
3.1.3 Kollegiale Teamarbeit als Grundlage für die Gestaltung des Bildungsgeschehens
Die bewusste Auseinandersetzung im Team über die theoretischen Grundlagen, die Bildungsphilosophie sowie die Zielsetzungen und Schwerpunkte des Kindergartens sind grundlegend für die gemeinsame Arbeit und das Finden einer gemeinsamen Grundhaltung im Team. Bildungs- und Organisationsziele in Kindergärten können wirksam angestrebt und verwirklicht werden, wenn ein verlässlicher Rahmen für die Weiterentwicklung der Bildungsqualität gesetzt wird. Dieser bietet Orientierung und Sicherheit. Die Umsetzung der neuen Rahmenrichtlinien ist zugleich Ziel der Kindergartenführung und gemeinsame Aufgabe des Kollegiums in jedem einzelnen Kindergarten. Diese Aufgabe fordert Verständigungsprozesse und eine enge Zusammenarbeit, um eine bestmögliche Umsetzung der Rahmenrichtlinien zu erreichen.