Es gibt Kinder, die in ihrer Entwicklung auffällig, gefährdet oder beeinträchtigt sind und einen besonderen Begleitungs-, Unterstützungs- und Förderbedarf aufweisen.
Eine Beeinträchtigung liegt nach dem Internationalen Klassifikationssystem (ICF) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) dann vor, wenn Funktionsbeeinträchtigungen oder Funktionsmängel aufgrund von Schädigungen den Lebensalltag von Kindern beeinträchtigen. Behinderung ist laut ICF hingegen grundsätzlich ein Faktor des Umfeldes und kann durch entsprechende Interventionen vermieden oder zumindest gemildert werden. Dieser Definition liegt ein Menschenbild zugrunde, das die Fähigkeiten und Stärken eines Menschen in den Vordergrund stellt. Eine solche Sichtweise bildet die Grundlage sowohl für die Diagnostik als auch für die pädagogische Praxis.
Kinder, die mit deutlich erhöhtem Entwicklungsrisiko aufwachsen, werden im Kindergarten und oft bereits in der Familie aufgrund von Verhaltensbesonderheiten oder ungewöhnlichen Entwicklungswegen erkannt, wobei die Ursachen vielfältig sein können. Aufgrund ihres erhöhten Entwicklungsrisikos kann die Teilhabe dieser Kinder am Leben in der Gemeinschaft manchmal begrenzt oder gefährdet sein.
Als Antwort auf die Frage nach der bestmöglichen Unterstützung dieser Jungen und Mädchen hat sich in Südtirol das Konzept der inklusiven Bildung positiv verankert. Inklusive Bildung richtet sich an alle Kinder und strebt eine Reduzierung sämtlicher Benachteiligungen in der Bildung an. Die Teilhabe am Leben der Gemeinschaft, in der jeder und jede respektiert und geschätzt wird, ist die beste Grundlage für die Entwicklung aller Kinder und bietet die Möglichkeit, die Unterschiedlichkeit als Bereicherung für das Lernen zu nutzen. Die Verwirklichung dieser Beteiligung erfordert eine enge Zusammenarbeit von Kindergarten, Familie und sozio-sanitären Diensten. Die Kooperationspartner Kindergarten, Familie und Fachdienste bringen hierbei ihre jeweiligen Leistungen und Möglichkeiten ein und vernetzen sie zu einem ganzheitlichen Konzept, das im Kindergarten zum Tragen kommt.
Kindergärten tragen den sehr unterschiedlichen Situationen von Kindern mit Beeinträchtigung und Entwicklungsrisiken durch ein abgestuftes Unterstützungskonzept Rechnung. Dieses wird mit dem Ziel einer uneingeschränkten Teilhabe am Leben der Gemeinschaft auf den folgenden drei Ebenen wirksam:
Primärprävention: verhindern, dass Entwicklungsprobleme entstehen
Sekundärprävention: frühzeitig eingreifen, wenn Entwicklungsrisiken erkennbar sind
Rehabilitation: bei Beeinträchtigung angemessen unterstützen
Im Begleiten der Kinder mit erhöhtem Entwicklungsrisiko sind für Kindergärten neben der pädagogischen Arbeit die Aspekte Früherkennung, Kooperation und der Einsatz sekundärpräventiver Programme bedeutsam. Bei vielen dieser Kinder ist eine Diagnostik, Beratung, Förderung und therapeutische Begleitung durch die Fachdienste erforderlich.
Die Aufnahme von Kindern mit Beeinträchtigung bedarf einer frühzeitigen sorgfältigen Planung, vertiefter Gespräche mit der Familie und den Fachdiensten, einer Reflexion der Gruppenzusammensetzung und eines gemeinsamen pädagogischen Konzepts. Zugleich erhalten Kinder mit Beeinträchtigung eine spezifische, therapeutische Förderung, die in das pädagogische Angebot des Kindergartens eingebettet und mit diesem vernetzt wird. Pädagogische Fachkräfte des Kindergartens, Familien und Spezialisten der Fachdienste planen gemeinsam die notwendigen diagnostischen Untersuchungen, das pädagogische Vorgehen in der Gruppe und die therapeutischen Leistungen. Entscheidungen werden für alle transparent vorbereitet und gemeinsam getroffen. Alljährlich werden in dieser Kooperation der Individuelle Bildungsplan und beim Übertritt in die Grundschule das Funktionelle Entwicklungsprofil erstellt.
Eine differenzierte Wahrnehmungsfähigkeit aller am Bildungsprozess beteiligten Personen, der Austausch darüber und das Wissen um die Lernmöglichkeiten des Kindes sind die Basis für die Festlegung von Bildungszielen, für die Planung weiterer Maßnahmen, für die bestmögliche Begleitung des Kindes auf seinem individuellen Lernweg, für die Partizipationsmöglichkeit aller Kinder und somit für die Verwirklichung inklusiver Bildung. Die Unvoreingenommenheit der Kinder gegenüber Kindern und Erwachsenen mit Beeinträchtigung weist den Weg zur Verwirklichung inklusiver Bildung.